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Ein Schatz der Sprache: Tonaufnahmen aus dem Kulturzentrum Haar

  • Donauschwaben
  • 23. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Okt.

Interview mit Sprachforscher Dr. Adam Tomas über die entdeckten Wenker-Sätze, das Donauschwäbische – und warum er sagt: „Reddet mehr Schwowisch mitananner“



Dr. Adam Tomas tauscht sich mit Dr. Ingomar Senz, Ria Schneider, Kristina Pepgjonoviq und weiteren Mundartsprecherinnen und -sprechern im Haus der Donauschwaben in Haar über Fragen zum donauschwäbischen Dialekt aus




Wenker-Bogen (Vorder- und Rückseite)


Wie klingt das Donauschwäbische – und was verraten Dialekte über Geschichte und Identität? Das Haus der Donauschwaben in Haar hat bereits vor über 20 Jahren damit begonnen, Tonaufnahmen verschiedener donauschwäbischer Dialekte mit Hilfe von Mitgliedern der Landsmannschaft zu produzieren. Für Dr. Adam Tomas, Sprachforscher an der LMU München und regelmäßiger Besucher in Haar, sind sie nun ein Glücksfund. Der gebürtige Münsinger lehrt und forscht zu Sprachgeschichte, Dialekten und Sprachinseln. Er nutzt die einzigartigen Aufnahmen, um den donauschwäbischen Sprachwandel zu erforschen – und damit ein Stück lebendige Erinnerungskultur zu bewahren.


Im Interview erklärt er den Ursprung der Wenker-Sätze, berichtet über seine Entdeckung in Haar und auch über die Gefahr von Sprachverfall und das Verschwinden einzelner Dialekte, die von großer Vielfalt und Ideenreichtum geprägt sind.


Herr Dr. Tomas, Sie forschen seit einiger Zeit intensiv zu den Dialekten. Wie sind Sie ursprünglich auf das Thema Donauschwaben gestoßen – und was fasziniert Sie daran persönlich?

Meine Familiengeschichte selbst ist multi-ethnisch und ist geprägt durch viele Sprachen wie Deutsch, Slowakisch, Jiddisch und Serbisch sowie Kroatisch. Meine Vorfahren sind in den letzten zwei Jahrhunderten auch oft umgesiedelt worden oder sie gingen selbst fort, nahmen aber auch was mit und hinterließen es anderswo. Als Soziolinguist reizt mich genau das, zu suchen und herauszufinden, wie sich die Ethnien entlang der Donau gegenseitig beeinflusst haben und was sie zusammenhielt und was sie letztendlich wieder zusammenbringen könnte.    


Im Fokus Ihres Seminars an der LMU München stand der drohende Verlust von Sprachen weltweit. Welche Rolle spielt das Donauschwäbische in diesem Kontext – und was lässt sich aus seiner Geschichte lernen?

Das Donauschwäbische ist offiziell ein Sammelbegriff für diverse deutsche ethnische Minderheiten, die ab dem späten 17. Jahrhundert in den Gebieten entlang der mittleren und unteren Donau angesiedelt wurden. Im Laufe der Jahre hat sich aus den überwiegend südwestdeutschen Dialekten der Siedler (besonders aus dem Pfälzischen, Rheinfränkischen und Schwäbischen, sowie Elementen aus dem Hessischen) eine mitteldeutsche Ausgleichsmundart entwickelt, die auch noch Einflüsse aus den autochthonen, also dort ansässigen Sprachen wie Serbisch, Slowakisch, Ungarisch und Rumänisch aufgenommen hat. Dieser Sprachkontakt ist aus vielerlei Hinsicht wertvoll und interessant zu beobachten, weil im Bereich Phonetik (Lautlehre), Lexik (Wortschatz) und Morphologie (Formlehre) eine Beeinflussung und ein Austausch stattgefunden haben. So sind Wörter wie Palatschinken, Kondukter, Paradeiser, Fußsäckle, Kukuruz sowie Omami und Otati oder natürlich hajde vielen Bewohnern der Donaugebiete bekannt, unabhängig von ihrer Herkunftssprache. Auch im Bereich der Kultur, Musik und Architektur gab es ein reges Geben und Nehmen als Ursache der interkulturellen Konvergenz. Das fasziniert mich.   


Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die CDs mit den Wenker-Sätzen in Haar zum ersten Mal in den Händen hielten?

Ich dachte mir: “Na Bravo!“ Ich habe in einem Heimat-Archiv als Linguist vieles vermutet und auf einiges gehofft, aber die Wenker-Sätze hier vorzufinden, über die ich parallel auch in einem anderen Projekt forsche, war einfach herrlich und ermutigend zugleich.



Wenker-Sätze zum Reinhören (bitte anklicken):








Welche Bedeutung haben diese Wenker-Sätze für Ihre Forschung? Gibt es darin etwas, das Sie sprachlich besonders überrascht hat? Was genau macht diese Sammlung für Ihre Forschung so besonders?

Die sogenannten Wenker-Fragebögen sind grammatisch präparierter Sätze in hochdeutscher Sprache, die von Georg Wenker bereits 1876 für seine Sprachatlas-Erhebungen entwickelt wurden, um die lautlichen und grammatischen Merkmale diverser deutscher Dialekte zu erfassen. Seit über 150 Jahren sind nun Lehrer, Pfarrer, Wissenschaftler sowie Interessenten damit beschäftigt, die Diversität der deutschen Dialekte sozusagen weltweit zu dokumentieren und die über Jahre und Jahrhunderte eingetretenen Entwicklungen und Änderungen auszuwerten. Daraus ergibt sich das breite Formenspektrum unserer Deutschen Sprache. An diesem Projekt und den Befragungen und Auswertungen mitzuwirken, ist für mich eine Freude und Ehre zugleich. 


Die Wenker-Sätze gelten als einer der frühesten systematischen Ansätze zur Dialekterhebung. Welche sprachlichen oder dialektalen Besonderheiten konnten Sie in den donauschwäbischen Versionen bisher entdecken?

Einerseits finden sich in den Wenker-Sätzen die typischen Aussprachemerkmale im Donauschwäbischen, wie das typische schwäbische, alveolare gerollte [r], also das sog. Zungenspitzen-r, nicht das uvulare Zäpfchen-[R] des Hochdeutschen. Weiterhin ist die Sibilanten-Epenthese immer zu hören, also der Einschub eines Sibilanten (Zischlauts wie sch in ein Wort bei ge-sch-tern oder Sam-sch-tag), um die Aussprache zu erleichtern, und die Spirantisierung von einem „b“ zum „w“, sodass Arbeit  zu Arwet oder überall zu iwwerall wird. Auch die Morphologie ist leicht verändert, da oft nach einem Artikelwort einheitlich das Deklinationssuffix -i angefügt wird, wie in die jungi Waiwer oder die roti Äpplbeem oder als Relativpronomen kommt fast immer das indeklinable wo zum Einsatz, wie in Des sin die Buwa, wo so scheni  Gloider han. Die genaue Aussprache und Flexion variiert jedoch stark je nach Siedlungsgebiet in Serbien (z. B. Tscherwenka, Futok, Apatin, Hodsachg etc.). Noch interessanter sind aber für mich die Unterschiede in der Lexik (Wortschatz), weil viele Sprecher des Donauschwäbischen diverse Synonyme benutzen, so sind Kleider entweder Gloider oder Gwand, das Pferd ist hier ein Ross oder dort ein Gaul, die Hühner sind Hinkl oder Kokosch und die Kartoffel können Äbira (Erdbirne), Grumbire (Grundbirne) oder Ärdäppl (Erdäpfel) sein. Das zeugt von Ideenreichtum und der Vielfalt unserer Dialekte. 


Wie möchten Sie die Dokumente aus dem Archiv in Haar künftig in Ihre wissenschaftliche Arbeit einbinden? Gibt es bereits konkrete Projekte oder Veröffentlichungspläne?

Ein Teil meiner Forschungsarbeit besteht immer darin, die neuen Erkenntnisse an die Öffentlichkeit heranzutragen, sie zu teilen oder sie einer öffentlichen Diskussion zur Verfügung zu stellen. Im Falle der Donauschwaben, deren Kulturerbe ich erforsche und erhalten möchte, ist es der beste Weg, die Thematik mit der universitären Gemeinde zu teilen. Archivfunde wie Briefe oder Sprachaufnahmen sowie auch theoretische Fragen zur Herkunft und Zukunft von Sprachinselgemeinschaften eignen sich hervorragend als Lehrstoff in meinen Vorlesungen oder können auch als partielle Ausführungen in Publikationen veröffentlich werden. Ich versuche daher meine Studenten und Studentinnen sowie Kollegen und Kolleginnen darauf aufmerksam zu machen, indem ich die Entdeckungen und Ergebnisse im Lehrsaal vorstelle, oder ich bringe Studierende in die Museen und Archive mit und lasse sie dort die erforschte Geschichte lesen und anfassen, riechen und erleben. So gewinnt man den besten Überblick über ein Themenfeld. 


Sie kommen regelmäßig ins Archiv nach Haar – was schätzen Sie am Haus der Donauschwaben als Forschungsort?

Menschlich gesehen ist es die gute alte Ordnung in den Vitrinen, die klare Struktur der Besucherwege und das liebevolle Engagement des Personals, was ich schätze, und natürlich den regen kulturellen Austausch wie Lesungen, Musikveranstaltungen und Zusammenkünfte. Wissenschaftlich gesehen bietet das Haus in Haar viele wertvolle Artefakte, hinter denen immer eine Geschichte steckt, welche man erzählen oder zumindest untersuchen sollte. Die so entdeckten Schätze werden dadurch nahbar und verständlich dargestellt und wissenschaftlich ausgearbeitet. Im Kulturzentrum Haus der Donauschwaben kann man also Geschichte und Wissenschaft miterleben, und dafür sind Museen schließlich auch da. 


Sprachverfall ist oft ein schleichender Prozess. Gibt es aus Ihrer Sicht realistische Wege, wie gefährdete Varietäten wie das Donauschwäbische langfristig erhalten oder sogar revitalisiert werden könnten?

Das ist eine sehr wertvolle und interessante Frage und sie betrifft nicht nur das Donauschwäbische, sondern viele Regional- und Minderheitensprachen, die vom Aussterben bedroht sind. Beim Donauschwäbischen ist die Situation allerdings besonders herausfordernd, weil es keine einheitliche Sprache darstellt, sondern eher ein Sammelbegriff für diverse deutsche Dialekte, die von deutschsprachigen Siedlern gesprochen wurden – oft mit lokalen Einflüssen. Mein oder unser aller Vorgehen in diesem Falle sollte sein, Sprachweitergabe in der Familie und Gemeinschaft zu fördern, alte Dokumente und Schriftstücke zu sichten und zu digitalisieren, Bildungsangebote und Sprachkurse sowie kulturelle Veranstaltungen anzubieten und schlussendlich Forschung und wissenschaftliche Begleitung zu ermöglichen. Dann, und auch nur vielleicht, kann man den Sprachtod reversibel machen.


Gibt es ein Fundstück oder eine Erkenntnis aus dem Archiv in Haar, das Sie besonders überrascht oder berührt hat?

Wissenschaftlich sind die Wenker-Sätze ja schon eine Freude und Erfolg genug, aber meine Ehrerbietung gehört einem anderen Fundstück. In all den Vitrinen und Regalen lag ein Notiz-Büchlein, gleich einem Tagebuch, aus dem Jahre 1946. Es erzählt teils in Prosa, teils in Versen, die Erlebnisse einer Vertriebenen aus dem Gefangenlager in Futok, welche unmittelbar Krieg, Trennung und wohl auch großes Leid und Tod erlebt haben muss. Erst wenn man sich durch die Zeilen dieses Büchleins liest, wird einem Menschen bewusst, was Leben und Liebe bedeuten, wie nahe Freude und Trauer aneinander liegen und wie wichtig Hoffnung in der Verzweiflung ist. Dieser Unbekannten, wie auch vielen anderen Vertriebenen der damaligen Zeit, würde ich gerne ihre Namen und ihre Würde zurückgeben und über ihr Leid und Hoffnung berichten, damit ihre Stimmen nicht verstummen.


Zum Schluss: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – was würden Sie sich für die Zukunft der donauschwäbischen Sprache wünschen?


Reddet mehr Schwowisch mitananner“. Durch den täglichen Gebrauch, ob in Küche und Haus, oder auf Straße und Arbeit, wird sichergestellt, dass die Vielfalt der Laute und Wörter des Donauschwäbischen, aber auch von all den anderen Varietäten, die bei uns gesprochen werden, auch weiterhin erhalten bleiben. Ich würde mich freuen, wenn wir den Dialekt wieder in unserer Gesellschaft zulassen und uns dafür Zeit nehmen würden, ob im Gespräch, beim Gesang, in Freizeit oder auch in der Schule. Das wäre eine feine Sache, wenn man in den Schulen landesweit, oder zunächst in unseren Kulturzentren wieder Sprachkurse zum richtigen Dialekterwerb anbieten könnte, sodass die Gesellschaft am Dialekt teilnehmen kann. Viele haben etwas Angst im Dialekt zu sprechen, weil sie die diversen Formen nicht mehr fehlerfrei beherrschen. Wenn sie durch Sprachkurse geschult und durch die Familie ermutigt werden könnten, würden so viel mehr Ortsansässige auch im Dialekt schwätzen und snacken, ratschen und klönen oder plaudern


Von Kristina Pepgjonoviq


Herzlichen Dank an Dr. Adam Tomas für dieses ausführliche und aufschlussreiche Interview.


Screenshot Aufnahmen aus den donauschwäbischen Siedlungsgebiete regionalsprache.de

Aufnahmen aus den donauschwäbischen Siedlungsgebieten“ - Darstellung bei www.regionalsprache.de



Darstellung der Erhebungsorte auf der Wenker-Karte“ - Darstellung bei www.regionalsprache.de

 
 
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