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"Ein Versuch, Unbeschreibliches zu beschreiben": 80 Jahre nach der Lagerinternierung

  • Donauschwaben
  • 8. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Mai

Gedenkveranstaltung am 25. Mai in Sindelfingen - mit Lesung des Zeitzeugen Friedrich Glas



Zeitzeuge Friedrich Glas: Erinnerungen an Bulkes und seine Lagerinternierungen in Jarek, Kruschiwl und Gakowa


Im Jahr 1944 begann für viele Donauschwäbinnen und Donauschwaben ein Martyrium, das bis heute in seiner Grausamkeit erschüttert. Hunderttausende Angehörige der deutschen Minderheit in Jugoslawien wurden bereits ab Herbst 1944 Opfer von Vertreibung, Enteignung, Zwangsarbeit und Internierung. Die jugoslawische Militärverwaltung errichtete ein dichtes Netz aus Arbeits-, Zivil- und sogenannten „Lagern mit Sonderstatus“, in denen Hunger, Zwangsarbeit, Krankheit und Gewalt zur bitteren Alltagsrealität wurden.


Bereits 1995 wurde mit dem dreibändigen Werk „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien“ ein Standardwerk zur Aufarbeitung dieser Ereignisse vorgelegt. Gleich zu Beginn dieses dritten Bandes steht ein programmatischer Satz: „Ein Versuch, Unbeschreibliches zu beschreiben.“


Und genau diesen Versuch unternehmen die zahlreichen Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die dieses Kapitel europäischer Nachkriegsgeschichte dokumentieren. Die Berichte sind erschütternd, aber auch notwendig – denn ohne sie würde die Erinnerung verblassen.


Drei Lagerarten: Systematische Internierung


Wie Historiker Georg Wildmann in seinem Beitrag für das Donauschwäbische Martyrologium beschreibt, war die Lagerstruktur klar organisiert:


1. Arbeitslager: In nahezu jedem Ort mit mehr als 200 deutschen Bewohnern wurde ein Lager eingerichtet, um durch Zwangsarbeit die kriegsbedingten Arbeitsausfälle zu kompensieren.


2. Zentrale Zivillager: In jeder Bezirkshauptstadt befand sich ein zentrales Lager, von dem aus Arbeitskräfte an Flugplätze, Lazarette oder Industrieanlagen verteilt wurden.


3. Lager mit Sonderstatus: Diese Lager waren im Banat Rudolfsgnad und Molidorf, in der Batschka Jarek, Gakowa und Kruschiwl, in Syrmien die „Seidenfabrik“ in Syrmisch Mitrowitz und in Slawonien Kerndia und Walpowo. Sie dienten der Konzentration von Alten, Kranken, Kindern und Müttern mit Kleinkindern.


Jarek war das erste dieser Lager mit Sonderstatus, eingerichtet am 2. Dezember 1944.


Die Zustände in diesen Lagern waren katastrophal – medizinische Versorgung fehlte, es herrschten Gewalt, Unterernährung, Misshandlungen und Willkür.


Zeitzeuge Friedrich Glas: Erinnerungen an Bulkes und Jarek


Besonders eindrucksvoll schildert der Zeitzeuge Friedrich Glas in seinem 2023 erschienenen Buch „D´Gloose-Fritz vun Bulkes“ die dramatischen Ereignisse seiner Kindheit.


Am 15. April 1945 wurde seine Familie in Bulkes vertrieben. Die Erinnerung ist bis heute lebendig:


„Es war tiefste Nacht, als wir in Jarek ankamen. Die Partisanen brüllten Befehle, alte Frauen schrien um Hilfe, Kinder suchten ihre Mütter, Menschen stolperten über Bündel. Wer sich nicht schnell genug in Fünferreihen einordnete, wurde geschubst, mit Gewehrkolben geschlagen oder angeschrien. Man brachte uns in leergeräumte Häuser, 30 bis 40 Menschen pro Haus. Nichts war darin – keine Möbel, keine Decken. Wir schliefen auf Stroh, das einige Frauen im Hof fanden. Noch in der Nacht wurden wir erneut auf die Straße gerufen, unter Androhung der Todesstrafe. Wertsachen mussten abgegeben, Taschen durchsucht werden. Wer arbeitsfähig war – auch Kinder ab neun Jahren –, musste sich am nächsten Morgen zur Arbeit melden. Bei Verstoß drohte Arrest oder Schlimmeres.“


Diese Worte werfen ein Licht auf das System der Einschüchterung und Entmenschlichung. Wer nicht unter Todesgefahr fliehen konnte, musste bis zum Jahr 1948 versuchen zu überleben und mit diesen Zuständen zurechtkommen. Wurde ein Lager aufgelöst, wurden die Internierten in ein anderes noch bestehendes Lager gebracht. Viele Insassen überlebten sie nicht – Hunger, Krankheiten und Erschöpfung forderten zehntausende Opfer. Das Lager Rudolfsgnad bestand am längsten, selbst nach seiner Auflösung mussten Überlebende drei weitere Jahre zur Zwangsarbeit.


Von den Donauschwäbinnen und Donauschwaben, die in ihrer alten Heimat verblieben, überlebte ein Drittel diese Jahre nicht.


Von Jürgen Harich



 

Gedenkveranstaltung in Sindelfingen am 25. Mai 2025


Der Bundesverband der Donauschwaben lädt anlässlich des 80. Jahrestages der Lagerinternierung zu einer Gedenkveranstaltung ein:


Sonntag, 25. Mai 2025, 10 Uhr


Haus der Donauschwaben, Sindelfingen


Im Zentrum der Veranstaltung steht eine Lesung und Buchvorstellung von Friedrich Glas, der seine Erinnerungen an diese Zeit teilt. Damit wollen wir nicht nur der Opfer gedenken, sondern auch die Erinnerung wachhalten und weitergeben.


Weitere Informationen und Anmeldung unter:  www.bundesverband-donauschwaben.de



Quellenverzeichnis:


Glas, Friedrich: D´Gloose Fritz vun Bulkes. Zeitgeschichtliche Erlebnisse eines deutschen Jungen aus der Batschka. Uhingen 2023.


Wildmann, Georg: Das Schicksal der Donauschwaben Jugoslawiens unter dem Tito-Regime. In: St. Gerhardswerk Stuttgart (Hrsg.): Donauschwäbisches Martyrologium. Die Opfer von Gewalt und Verfolgung bei den Donauschwaben in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn im 20. Jahrhundert. Aachen 2016, S. 44ff.


Wildmann, Georg u.a.: Erschießungsaktionen, Zentrale Zivillager, Vernichtungslager. In: Donauschwäbische Kulturstiftung München (Hrsg.): Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien. Band III: Erschießungen – Vernichtungslager – Kinderschicksale in der Zeit von 1944 bis 1948. München 1995, S. 667ff.

 
 
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